
Es war eine Zeit, da die Winde die Worte der Götter trugen und die Erde noch jung war. Wenn Vögel verstummten, Blitze den Himmel spalteten und Wälder vom Donner erzitterten, flüsterten die Alten ehrfürchtig: „Es ist Thor, der Donnergott.“
In einem jener Frühlinge erwachte ein alter Bär aus langem Schlaf. Der Winter war hart und lang gewesen. So begab es sich, dass der Wald kahl und leer da lag. Die Landschaft schien vom Frost versteinert. Der Hunger nagte tief in seiner Brust, und müde schritt er durch das stille Land. Kein Strauch trug Blatt, kein Baum gab Frucht, kein Busch bot Nahrung.
Rastlos streifte der Bär umher. Er suchte mit den Augen zwischen den Zweigen, wo das Licht flackerte wie fernes Feuer. Er grub dort, wo der Schnee nicht schmolz und brach Zweige entzwei. Doch nirgends ward etwas zu finden. Doch da geschah es. Er war schwach, und die Lebensgeister schienen zu schwinden. So legte er sich unter einen Baum und wollte in die Dunkelheit sinken. Da zog ein fremder Duft durch den Wald. Er war scharf wie Sturm und stark wie feuchte Erde, und doch verborgen wie ein Lied, das nur das Herz versteht. Der Bär hob den Kopf und folgte der Spur.
Da sah er zwischen den Wurzeln einer alten Buche ein kleines, grünes Blatt. Der Tau glänzte darauf wie Silber. Ein Duft stieg auf, wild wie ein Sturm und scharf wie der Wind. Der Bär neigte sein Haupt und sprach: „Dies ist kein Blatt wie alle andern. Es trägt den Atem des Donners.“
Er fraß davon. Da geschah es. Wärme fuhr ihm in die Glieder. Ein Leuchten trat in seine Augen, und sein Brummen ging durch den Wald wie ferner Donner. Noch ein Blatt, und die Kälte wich von ihm. Noch ein Blatt, und er stand wieder fest auf seinen Beinen.
Da erkannte der Bär, es war ein Geschenk des Gottes. Von jener Stund an hütete er die Pflanze. Er lehrte die Tiere des Waldes, sie zu ehren und nicht achtlos zu pflücken. „Thors Kraft liegt in diesen Blättern. Achtet sie, und sie stärken euch. Achtet sie nicht, so helfen sie euch nicht.“
Der Bärlauch wuchs Jahr um Jahr. Er breitete sich aus unter Bäumen und Sträuchern. Wie ein grüner Teppich lag er auf dem dunklen Waldboden. Er nährte alle, die ihn ehrten, mit stiller Kraft. Die Tiere fanden Heilung in seinen Blättern. Die Menschen lernten, dass er neue Kraft schenkt und böse Geister fernhält.
So wuchs der Bärlauch weiter im Wald und schenkte Kraft all jenen, die ihn ehrten. Und wer ihn in rechter Weise pflückt, dem ist er bis auf diesen Tag ein Segen.