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Wie der Löwenzahn zu seinem Namen kam

Wie der Löwenzahn zu seinem Namen kam

Es war vor langer Zeit, da lebte eine Blume auf weiter Flur, verborgen wie ein Lied, das nur das Herz vernimmt. Klein war sie und unscheinbar, mit blassen Blüten und gezahnten Blättern, scharf wie kleine Zähne. Niemand achtete auf sie, denn ihre Farbe war matt und bleich. Schlicht war ihre Gestalt. Sie stand namenlos auf der Wiese, und ihre stacheligen Blätter scheuchten die Menschen fort.

Jahr um Jahr verging, und ihre Farbe schwand mehr und mehr. Es schien, als löse sie sich auf im Wind, als wäre sie nur Luft, Schatten oder ein leises Flüstern. Bald war sie kaum mehr zu sehen. Einsam und verlassen stand sie da. Und es legte sich eine kühle Traurigkeit auf ihre Blätter, denn die Blume wusste, dass niemand sie erkennen würde. Nicht wie sie war, blass und ohne Namen. Wie ein Schatten im Licht, wie ein Hauch vom Herbst, der bald verweht.

Still und unbeirrt blieb sie auf ihrer Wiese. Sie sammelte ihren Mut und harrte aus. Denn sie wollte nicht länger ungesehen bleiben, nicht länger still verwehen wie ein windverwehtes Blatt. Sie wollte wachsen und sich zeigen, gleich einer Melodie, die tief im Herzen klingt.

Eines Tages trat ein Wesen auf die Wiese. Nicht wie ein Tier von dieser Erde, sondern wie einem alten Traum entsprungen. Wie ein Traum aus Licht und Schatten. Ein Löwe, wie man ihn in alten Zeiten kannte, groß und mächtig, mit goldenem Fell, das hell leuchtete wie das erste Licht am Morgen. Seine Schritte hallten über das Land, dumpf wie das Grollen des Donners hinter fernen Bergen. In seinen Augen lag die Weisheit alter Tage, und seine Seele war still.

Als der Löwe die Wiese durchschritt, trat seine Pranke auf eines der gezackten Blätter. Es war kein Gras, das sich biegt, sondern etwas, das standhaft blieb. Die Blume gab nicht nach, sondern hielt dem Druck stand wie ein Fels im Sturm.

Da senkte der Löwe sein Haupt und sah die Blume an. Ihre Blätter waren gezackt wie Zähne, wild und unbeugsam, gleich seinen eigenen. Stolz stand sie da, ein stiller Wächter auf weiter Flur, ohne Glanz, doch voll innerer Kraft.

Der Löwe setzte sich nieder und strich mit seinem Schweif sanft über die Blüte. Da öffnete sie sich weit und leuchtete wie das junge Licht, das mit dem Tau auf die Halme fällt. Ihr Glanz war klar und warm, gleich dem Haar des Löwen selbst.

Der Löwe sprach mit tiefer Stimme, voll Kraft und Weisheit:
 „Du bist klein, doch unbeugsam. Deine Zähne gleichen meinen. Deine Blätter trotzen dem Sturm. Du bist stark in deinem Wesen. Von nun an sollst du Löwenzahn heißen.“

Seit jenem Tage trägt die Blume ihre goldene Krone und die gezackten Blätter. Sie ist ein stilles Zeichen des Mutes, der im Verborgenen wächst, und des Glanzes, der nicht erlischt. Ein Zeichen der Kraft, der Standhaftigkeit und der Würde, die niemals vergeht.

Wer mit wachen Augen über die Wiese geht, sieht in jedem Blatt das leise Brüllen des Löwen und in jeder Blüte das helle Licht der Sonne, das ewig strahlt. So erzählt die Blume von stillem Wachsen und geheimem Glühen. Von jener Kraft, die wächst wie eine goldene Blume im stillen Gras, unbeachtet, und doch voller Glanz.“

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