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Die Legende von Achilles und der Schafgarbe

Die Legende von Achilles und der Schafgarbe

Niemand weiß mehr, wann es geschah, doch die Alten erzählen von jenen Tagen, da die Schwerter klirrten und das Feld von Blut getränkt war. Viele tapfere Krieger lagen verwundet da, tief gezeichnet vom Schmerz. Das Dröhnen des Krieges schien kein Ende zu nehmen, und die Hoffnung war weit entrückt.

Weit lagen sie über das Feld verstreut, die Verwundeten und die Sterbenden, mit zerschlagenen Gliedern, und flackerndem Atem. Kein Lied sang mehr, kein Horn erschallte. Nur das Stöhnen der Leidenden zog über das Land, verborgen wie ein Lied, das nur das Herz versteht. Über allem ruhte die Stille, schwer wie Nebel und ohne Trost.

Nur ein Mann stand aufrecht inmitten dieser Krieger. Nachdenklich wanderte sein Blick über die, welche die Schlacht zurück gelassen hatte. Da gedachte Achilles seines Lehrers. Und noch ehe er es begriff, war alles anders geworden.

Chiron war nicht wie andere. Er lebte fern der Städte, in tiefen Höhlen und schattigen Wäldern.  Halb Mensch, halb Ross. Sein Oberkörper war kräftig und von einer stillen Würde ein Wesen der Zwischenreiche. Er verstand die Sprache der Vögel, las die Zeichen der Sterne und kannte die geheimen Kräfte der Pflanzen, die verborgen wuchsen. So still und unscheibar, an den Rändern der Wege dort, wo das Licht zwischen den Zweigen tanzt wie vergessene Träume und wo kaum ein Auge verweilte.

Einst hatte Chiron dem jungen Achilles ein Kraut gezeigt, das am Saum des Waldes gedieh, in der Dämmerung verborgen, als sei es nur für Eingeweihte gewachsen. Fein waren seine Blätter, wie Silber geädert, und wer es zu schnell ansah, der sah es nicht. „Unscheinbar vielleicht, doch voller Kraft“, hatte Chiron gesagt, „sie stillt Blut, lindert Schmerz und stärkt die Lebenskraft doch sie verlangt Achtsamkeit und Hingabe.“

Achilles erinnerte sich an diese Worte. Ein Flüstern ging durch die Luft, kaum hörbar, doch nicht zu überhören. Er wusste genau was zu tun war.

Als die Nacht herabsank und das Schlachtfeld in Dunkelheit hüllte, trat er hinaus aus dem Zelt. Der Wind schwieg, und selbst die Zeit hielt den Atem an. Lautlos ging er über den trostlosen Boden, dort, wo das Gras niedergetreten und die Erde wund war.

Am Saum des Waldes blieb er stehen, lauschte dem Schweigen, das tiefer war als alle Klagen.
 Dort wo kein Mensch je ging, nur der Schatten der Sterne fiel, kniete er nieder. Er fand das Kraut unter feuchtem Laub, so wie Chiron es ihm gezeigt hatte.

Sorgsam sammelte er es, ohne Hast, als gälte es, dem Atem der Erde zu folgen. Ein Flüstern, gleich der Stimme Chirons, legte sich über seine Gedanken. Nach dieser Leitung legte Achilles die Blätter in einen kleinen Kessel mit kochendem Wasser. Dann geschah es das Wasser färbte sich wie der dunkle Nachthimmel.

Mit einem hölzernen Löffel ließ er den dunklen Trank auf die Lippen derer fallen, deren Atem schon flach geworden war und deren Augen ins Leere sahen. Die Wunden bestrich er mit dem dunklen Sud, sorgsam und schweigend, als fürchte er, den Tod selbst zu wecken. Manchem legte er ein Tuch auf, getränkt in der schwarzen Brühe.

Der Wind schwieg, und selbst die Zeit hielt den Atem an.  Langsam und gleichmäßig hoben und senkten sich die ersten Leiber, deren Atem nun tiefer und freier ging. Das Blut, das so lange wild geflossen, kam endlich zum Stehen. Die Wunden begannen sich zu schließen, und mit ihnen wich der Schmerz von den gequälten Gliedern. Die Furcht, die tief in die Züge der Verwundeten eingegraben war, schwand von ihren Gesichtern, und ein stiller Friede legte sich über die müden Seelen.

Da geschah es, ein großes Unglück in jenen Tagen. Das griechische Heer zog aus, dem Rufe  Trojas folgend. So hatten sie ein Land betreten, das ihnen fremd war. Noch ehe er es begriff, flog sein Speer durch die Luft und traf den König Telephus, den Herrscher der Mysier. Schwer verwundet sank er zu Boden.

Achilles aber nahm sich des Königs an und suchte mit eiliger Hand, die tiefe Wunde zu heilen. Er vertraute dem Sud, der manchem seiner Gefährten Kraft und Heilung gebracht. So begab es sich, er setzte all seine Stärke daran, das fliehende Leben Telephus zu bewahren, das ihm schon dem Dunkel zu entgleiten drohte. 

Um den mächtigen Herrscher ward es still, und sein Leiden wuchs von Stund zu Stund. Der Trank vermochte nicht, die Wunde zu schließen, die tief in seinem Fleisch nagte. Der Tag dehnte sich länger als je zuvor, und keiner vermochte, Achilles zu weisen, was zu tun sei. So lag er auf seinem Lager, von Sorgen schwer, sein Sinn ermattet, sein Herz beklommen. Unruhiger Schlummer ergriff ihn.

Da vernahm er im Traume die Stimme Chirons, leise rauschend wie der Wind im Blattwerk der Bäume: „Nur wer fragt, der wird Antwort finden.“

Der neue Morgen kam, wie er noch nie gekommen war. Achilles entsinnte sich Chirons Botschaft. Und obgleich sich das Rad der Zeit gedreht hatte, ward der König dem Dunkel noch nicht verfallen. Achilles schickte nach dem Orakel und es sprach: „Nur der, der die Wunde schlug, kann sie heilen.“

Achilles wandte sich still ab. Es war, als streife ihn der Blick eines uralten Wissens. Er hatte gewählt, doch das Schicksal hatte längst entschieden. Telephus ward verwundet durch seinen Speer. So musste er nun gehen, dem Rufe des Schicksals folgend. Leise und dem Herzen gehorchend trat er von neuem hinaus. Er pflückte das Kraut von neuem und rührte einen stärkeren Trank. Er ergriff den Speer und strich die dunkle Schmiere von der Spitze. Ein Licht erschien, wie aus einer anderen Welt geboren. Ein stilles Zeichen, dass sein Weg der rechte sei. So löste er die Schmiere im Sud und rührte bedächtig den Trank.

Erneut tropfte er davon auf die Lippen des Königs. Dann nahm er das getränkte Tuch und legte es sorgsam auf die offene Wunde. Der Wind verstummte. Die Vögel hielten inne. Selbst der Rauch, der sonst im Zelt tanzte, stand still. Und dann, nach einer langen Weile, begann sich das Fleisch zu schließen. Der Schmerz wich. Das Fieber fiel. Und die Wunde tat sich zu.

So wurde Telephus geheilt. Und das Kraut, das lange verborgen im Schatten gewachsen war, trug von jenem Tage an einen neuen Namen. Man nannte es Schafgarbe, und die Gelehrten nannten es Achillea millefolium, auf dass der Name des Kriegers fortlebe in dem, was heilt.

So wurde die Pflanze gepriesen von allen, die Heilung suchten, und Achilles erhob sich

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