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Grete und das Zauberhuhn

Es war einmal ein Bauer namens Ruprecht. Sein Federvieh war weit über die Grenzen des kleinen Dorfes bekannt. Es war wohlgenährt und kräftig. Sie legten Eier so herrlich, dass man mehr als alles andere achtete. So sehr Ruprecht sein Heim und sein Geflügel hegte, so wenig vermochte er, Gretes Herz zu berühren. Seit dem Tode ihrer Mutter weilte sie in seinem Haus und empfand große Einsamkeit.

So geschah es, dass der Bauer erneut heiratete. Die Stiefmutter trat mit ihrer Tochter in das Heim und von nun an war Gretes Leben von Kummer erfüllt. Bald zeigte sich, dass der Bauer die Stiefmutter und Stieftochter mehr liebte. Grete, der Hof und das Federvieh waren im Stich gelassen. Immer seltener brachte es Eier und allmählich drohte das Heim zu verarmen.

Die Tochter vermochte das Gezänk und die Kälte im Hause nicht länger zu ertragen. Oft floh sie in die Wälder, dort wo das Licht zwischen den Zweigen tanzt wie vergessene Träume. So suchte sie zwischen Bäumen und Blumen ihre Ruhe. Eines Tages begab es sich, dass sie auf einer Lichtung ein Huhn von wunderlichem Wuchs und seltener Farbe erblickte. Als sie darnach greifen wollte, glitt sie aus und stürzte den Abhang hinab, dass sie reglos am Boden lag.

Da kam ein graues Männlein herbei, kaum größer als ein Kind. Sein Bart reichte bis auf die Brust, und seine Augen glühten wachsam wie Kohlen. „Steh auf, Kind“, sprach es, „das Huhn, das du siehst, legt Eier von seltener Farbe. Wer es halten will, muss treu und sorgsam sein.“

Grete nahm die Aufgabe an. Sie streute frischen Weizen auf den Boden und legte anderes Gutes dazu, das das Federvieh gierig aufpickte. Achtsam nahm sie die Eier auf und säuberte den Stall mit sorgfältiger Hand. Zu den Tieren sprach sie leise und freundlich, und sie lauschten ihr. Das graue Männlein aber stand schweigend und sah ihr still zu.

Als Grete ihm eines Tages ihr Heimweh klagte, nahm es ihre Hand und sprach: „Du hast mir gute Dienste erwiesen. Nimm das Huhn. Wo es weidet, wird ein Teppich aus diesen kleinen grasgrünen Pflanzen mit den weißen Sternenblüten wachsen. Er wird das Federvieh wieder stärken.“

Als Grete heimkam und alles berichtete, nahm der Vater sie in die Arme und hielt sie fest. „Du hast unser Heim und unser Federvieh gerettet, Grete“, sprach er. „Von nun an will ich dich achten und liebend als mein Kind begleiten.“

Bald glänzten die Kämme des Federviehs wieder rot, und der Hof blühte in frischem Grün. Der Bauer sah seine Tochter an und spürte die Liebe, die er lange nicht gefühlt hatte. Er nahm sie in sein Herz und achtete von nun an auf ihr Wohlergehen.

Als die Stiefmutter merkte, wie sich das Wesen des Hauses plötzlich wandelte, nahm sie die Stieftochter bei der Hand. Von Habsucht getrieben, schickte die Stiefschwester zum grauen Männlein.

So zog die Stieftochter aus und tat es der Grete gleich. Auf der Lichtung erblickte sie das Federvieh und stürzte den Abhang hinab. Über Moos und Wurzeln rollend, blieb sie regungslos liegen. Langsam trat das graue Männchen heran.

Die Stieftochter richtete sich mühsam auf. Sie erhielt die gleiche Arbeit wie Grete. Doch Trägheit lag schwer auf ihr. Den Stall verachtete sie. Das Federvieh ließ sie unbesorgt. Überall klagte sie über den Schmutz. Heimlich nahm sie die schönsten Eier und verschlang sie gierig.  Doch forderte sie dennoch ihren Lohn. Das graue Männchen gab ihr einen Hahn und eine Pflanze.

Zu Hause setzte sich der Hahn auf ihr Haupt. Ein gelber, stinkender Klecks fiel auf ihre Nase. Sie schrie um Hilfe, doch wie sehr die Stiefmutter ihn auch zu entfernen suchte, der Klecks blieb, wie von einem Fluch bestimmt.

Die Stiefmutter und die Stieftochter flohen mit einem Teil des Federviehs. Das Federvieh aber pflegten sie sorglos und unbedacht. Sie wussten nicht, dass die Stieftochter für ihr Betragen ein anderes Kraut empfangen hatte. Seine Blätter wirkten giftig für die Hühner, so dass ihnen das Leben schwand. Schwach und matt lagen sie da, eines nach dem andern schied dahin. So kam es, dass Ruf und Besitz der beiden zugrunde gingen.

Der Bauer und seine Tochter aber waren gerettet. Das Zauberhuhn schritt stolz über den Hof und legte seine seltenen Eier. Wo es weidete, spross die Vogelmiere üppig zwischen Gras und Blumen. Grete lebte fortan glücklich auf dem Hof, der wieder in voller Blüte stand.

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